Deutsches Schiffahrtsmuseum

Regional-Presse-Info

Regionalinfo 01/98 vom 04.02.1998

Aus Zeitzeugen werden Hobbyhistoriker

Bei der Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Hochseefischerei sind die Trawlerkapitäne am weitesten vorangeschritten - Erste Ergebnisse sollen noch in diesem Jahr vorgestellt werden

Mit der passiven Rolle von Zeitzeugen, die nur aussagen, wenn sie gefragt werden, wollen sich die gut 100 ehemaligen Fischdampferkapitäne, Verarbeitungs- und Vertriebsexperten, einstigen Manager der Fischwirtschaft, die sich im Arbeitskreis "Geschichte der Hochseefischerei" zusammengefunden haben, nicht mehr begnügen. Seit einem Jahr stellen sie sich als Amateurforscher in den Dienst der Wissenschaft und unterstützen nebenbei das Deutsche Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven beim Aufbau der Schausammlung zu diesem Thema, das ein wichtiger Teil ihres Lebens gewesen ist. Und die Zeit drängt: Die mittlerweile 113jährige Ära der deutschen Hochseefischerei neigt sich in ihren traditionellen Formen einem unaufhaltsamen Ende entgegen.

In diesem Monat legen sich einige der fünf Arbeitsgemeinschaften, die spezielle Aufgaben übernommen haben, wieder so richtig ins Zeug. So hat Kapitän Heinz Adler, Leiter der Arbeitsgemeinschaft "Hochseefischerei in der ehemaligen DDR", seine zur Mitarbeit bereiten Kapitänskollegen und ehemaligen Produktionsleiter für den 11. Februar zu einer Sitzung nach Rostock eingeladen. "Bei der nächsten Sitzung im Herbst werde ich dem gesamten Arbeitskreis unseren Bericht vorlegen", kündigte er an. Allerdings kann seine Arbeitsgemeinschaft "Hochseefischerei DDR" auf ergiebiges Material zurückgreifen. Die Hauptentwicklungslinien der Geschichte des Fischkombinats Rostock seien, wie Adler erklärt, in dem Buch "Hiev up" bereits realistisch beschrieben.

Auf das Ergebnis darf Historiker Ingo Heibrink, der beim DSM für den Bereich "Geschichte der Hochseefischerei" zuständig ist, besonders gespannt sein. Denn im Gegensatz zu ihren Kollegen in der alten Bundesrepublik, die jeder für sich auf möglichst hohe Erlöse bedacht die Jagd nach den dicksten Hols aufnahmen, praktizierten die Trawlerkapitäne aus Rostock die Flottillenfischerei: Weil ihr gesellschaftspolitischer Auftrag in der Versorgung der Bevölkerung mit Fisch bestand, hatten alle an einem Strang zu ziehen und als Produktionsgenossenschaft optimale Fangmengen anzulanden. Die Technik und Effizienz der Flottillenfischerei wird daher einen wesentlichen Bestandteil des Berichtes bilden. Für Heidbrink ist es ein Muß, daß die Flottillenfischerei ausführlich in der Schausammlung dargestellt wird, die ab 1999 im Erweiterungsgebäude einen Großteil der Ausstellungsfläche einnehmen wird.

Wie Heidbrink bewertet auch Günther S. M. Fuchs, Sprecher des Arbeitskreises, die bislang in wenig mehr als einem Jahr geleistete Arbeit sehr positiv. Allerdings bestehe auf einigen Feldern, so in der Arbeitsgemeinschaft "Politik/äußere Einflüsse" noch ein Nachholbedarf. Umso glücklicher sind beide, daß es gelungen ist, die Archive des Verbandes der deutschen Hochseefischerei des früheren, inzwischen aufgelösten Fischwirtschaftlichen Marketinginstitutes (FIMA) in das Deutsche Schiffahrtsmuseum zu holen.

Einen großen Aufgabenkatalog hat inzwischen die AG "Be- und Verarbeitung" abgearbeitet. Es fehlen jedoch, wie ihr Sprecher Karl-Heinz Wilken Ende letzten Jahres festgestellt hat, unter ihren Mitstreitern noch Experten, die kompetente Aussagen über die Herstellung des Salzherings und über den in Deutschland schon zur Geschichte gewordenen Bereich "Klippfisch" treffen können.

Außer bei der Aufarbeitung und Dokumentierung der Geschichte könnte der Arbeitskreis auch das DSM deutlich bei der Sammlung wichtiger Objekte für die künftige Ausstellung im Erweiterungsgebäude unterstützen, das allmählich seiner Fertigstellung entgegengeht. In den letzten Monaten schon kam das Museum durch Vermittlung des Arbeitskreises in den Besitz nicht nur zahlreicher Bestandteile von Fanggeschirren, sondern auch des 15 Meter langen Entwicklungsmodells eines pelargischen Netzes, das später den zentralen Blickfang der Abteilung Fischerei bilden wird. Einzelne Kapitäne öffneten ihre privaten Schatztruhen und stellten sogar ihre persönlichen Karten der Fangplätze zur Verfügung. Solche Unterlagen hatten sie während ihrer Fahrenszeit unter strengstem Verschluß gehalten, weil die Karten oft genug über Erfolg oder Mißerfolg einer Reise entschieden.

Aber auch aus der Fischverarbeitung und dem Vertrieb erhielt das DSM bereits zahlreiche Exponate. So sorgte Heinz Adler dafür, daß vom Fischkombinat Rostock Originalverpackungen von DDR-Konsumprodukten nach Bremerhaven gelangten. Aus Mannheim erhielt das Museum ein Oberlicht der "Nordsee"-Filiale, wie sie sich in den dreißiger Jahren darbot, aus Bremerhaven viele Ausdrucke von Verpackungsstempeln des Fischversands, aus Cuxhaven Navigationsanlagen und Fischortungsgeräte. Kaum zu zählende Film- und Fotobestände aus dem Privatbesitz von Mitgliedern des Arbeitskreises bereichern inzwischen das Archiv und stehen damit für Forschung und spätere Präsentation im Deutschen Schiffahrtsmuseum zur Verfügung.

Einzelne Mitstreiter des Arbeitskreises werden demnächst sogar schon erste Forschungsergebnisse vorlegen. Den Anfang macht die frühere "Nordsee"-Mitarbeiterin Hilda Peters, die am Donnerstag, 12. Februar, 19.30 Uhr, im DSM in einer gemeinsamen Veranstaltung des Deutschen Schiffahrtsmuseums, der Schiffahrtsgeschichtlichen Gesellschaft Bremerhaven und der Deutsch-Isländischen Gesellschaft einen Vortrag über die Aktivitäten der deutschen Dampffischerei bei Island bis 1914 hält.

Hinweis: Die Veröffentlichung des Info-Service ist kostenfrei. Wir bitten jedoch bei Druckmedien um Übersendung eines Belegexemplars.


zurück